
Naoko Tanaka: Schatten Trilogie; EISFABRIK Weisse Halle, 14.5.-11.6.2017
_Von Peter Piontek
„Schatten Trilogie“ ist nicht nur der Titel dieser Ausstellung, sondern auch einer Reihe von Installations-Performances, mit denen Naoko Tanaka international Beachtung und Anerkennung gefunden hat. Auf der Grenze zwischen bildender und darstellender Kunst, Objekttheater und Schattenspiel hat sie eine ganz eigene Ausdrucksform entwickelt. Die Teile der Trilogie heißen: „Die Scheinwerferin“, „Absolute Helligkeit“ und „Unverinnerlicht“.
Bühnenwerke und bildnerische Arbeiten gehen bei Naoko Tanaka Hand in Hand. Mit zeichnerischen Entwürfen bereitet sie ihre Performances vor und begleitet deren Entwicklung. Und auch die Objekte, die Sie hier sehen, treten in ähnlicher Form auf der Bühne in Erscheinung. Deshalb lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Performances der „Schatten Trilogie“ werfen.
„Die Scheinwerferin“, ist ein schöner Titel, poetisch und programmatisch und vielleicht ein bißchen mehrdeutig. Wir werden sehen. In ihrer ersten Solo-Performance beginnt die Künstlerin bei sich selbst. Sie betritt die Bühne und findet dort ihr Ebenbild in Gestalt einer Puppe vor, die sie mit einer kleinen Lampe betrachtet. Dann taucht sie ab in die Welt der Erinnerung. Auf den Bühnenlein-wänden läßt sie Gegenstände als Schatten lebendig werden. Wir sehen – zum Teil verbogene – Gabeln, Schienenstränge. Bilder und Filmstreifen quellen aus Schubladen. Ein Zug rattert, und unversehens befinden wir uns in einem Gestrüpp von halb gegenständlichen, teils organisch anmutenden Strukturen, einem Innenwelt-Szenario, das etwas Unheimlich-Surreales hat. Wo sind wir gelandet, und woher kommen wir?
Naoko Tanaka beginnt bei sich selbst und zielt doch auf etwas anderes ab. Die zweite Performance weist darauf schon im Titel hin. „Absolute Helligkeit“ ist ein Begriff aus der Astronomie, eine Bezugsgröße, die den Vergleich der Leuchtkraft einzelner Sterne ermöglicht. „Sie erlaubt die Einordnung eines Phänomens, das die Grenzen unserer Wahrnehmung weit übersteigt“, schreibt Naoko Tanaka dazu auf ihrer Website. Es sind Fragen nach dem Wesen unsrer Wahrnehmung und schließlich existentiell-philosophische Fragen, die sie interessieren und die sie mit ihren Schattenspielen anleuchten will.
Woher kommen wir – und wohin gehen wir. Diese Frage wird in der dritten Performance sehr konkret angeschnitten. Zum Inventar der Gegenstände, die die Künstlerin hier zum Schattentanz bittet, gehören kleine Stühle, die aussehen wie Schul-stühle. Aber sie sind verformt, verbogen, wie hier die Stühle vor uns. Sie zeugen von Gewalt und sie gebärden sich wie Menschen. Sie sind auf schiefen Ebenen unterwegs, knicken ein, straucheln. Da gibt es einen, dessen Sitzfläche aussieht wie ange-kokelt. Und aus einem anderen wachsen seltsame Gebilde, wie Haare oder wie – tja, was? Tropfen, die nach oben tropfen, Mutationen?
Was ist geschehen? Naoko Tanaka ist in ihrer Heimat gewesen, hat als Artist in Residence in einer leerstehenden Schule gearbeitet, auf dem Land, von wo die Menschen abwandern in die großen japanischen Städte. Es war in den Jahren nach dem verhehrenden Tsunami und dem Reaktorunglück von Fukushima. So wird die Performance auch zur Dokumentation des Schreckens und des Schreck-lichen, die in dieser Dimension nicht mehr zu verinnerlichen sind.
Jetzt sind wir doch schon ziemlich nahe an der Ausstellung dran, trotzdem möchte Sie noch einmal davon wegführen. Naoko Tanaka macht mit ihrer letzten Performance „Unverinnerlicht“ einen Schritt an die Wirklichkeit heran, die sich ihr in den Objekten darbietet. Gleichzeitig dringt sie aber auch tiefer in die Vielschichtigkeit der Beziehung von Schein und Wirklichkeit ein. „Scheinbar wirklich“, hatte sie schon 2012 eine Ausstellung genant. In „Unverinnerlicht“ läßt sie eine Leinwand um die Bühne kreisen – gezogen von einer gleichmäßig wie ein Uhrwerk schreitenden Performerin, so daß der Zuschauer wechselweise in die offene Bühne guckt und die Künstlerin agieren sieht, und dann wieder nur das Schattenspiel auf der die Bühne verschließ-enden Leinwand vor sich hat – eine Konstellation, die sich dann doch wie ein Verweis auf einen berühmten philosophischen Text ausnimmt, nämlich das Höhlengleichnis aus Platons Politeia.
In seinem Gleichnis faßt der antike Philosoph seine Erkenntnistheorie zusammen und illustriert seine Ideenlehre, indem er seinen Lehrer Sokrates folgendes Bild entwerfen läßt: Wir sollen uns Menschen vorstellen, die in einer Höhle gefangen sind, mit dem Rücken an die Wand gefesselt. Und nun sehen sie auf der gegenüberliegenden Wand allerhand Schatten, die das Licht durch eine Öffnung über ihren Köpfen wirft. Sie sehen Figuren und Gegenstände, und sie halten diese Schatten für die Wirklichkeit, denn sie kennen ja nichts anderes und wissen nichts von dem, was außerhalb der Höhle ist. Wie würde nun einem geschehen, so fragt Platon-Sokrates, dem die Freiheit gegeben würde? Er würde erst gar nicht hinaus wollen aus der Höhle, weil das Licht der Sonne viel zu gleißend ist und sich alles ganz unwirklich ausnimmt, was er schließlich sieht undsoweiter.
Platon entwirft das Modell einer Erkenntnis der Ideen, die für ihn realer sind als der Schein der Realität. Naoko Tanaka, die Scheinwerferin, wirft Schein, nämlich Licht, und mit dem Schein, den sie wirft, erzeugt sie Schatten. Sie ist eine Illusions-Künstlerin. Wir haben uns angewöhnt, das Wort Illusion mit Schein oder Täuschung gleich zu setzen. Dem Wortsinne nach heißt es aber so viel wie „ins Spiel bringen“. Sie bringt mit den Schatten die Dinge ins Spiel und macht so etwas sichtbar. Und ich fand es angezeigt, ihre Bühnenwerke ins Spiel zu bringen, um ein Licht auf ihre bildnerischen Arbeiten zu werfen und Perspektiven anzudeuten.
Naoko Tanaka, die in Tokyo Kunst studiert hat und 1999 als Stipendiatin nach Deutschland gekommen und geblieben ist – sie hat an der Kunstakademie Düsseldorf ihre Studien fortgesetzt und abgeschlossen und einige Jahre mit der Tanz- und Performancegruppe Ludica gearbeitet, ehe sie sich ganz auf ihre eigenen Projekte konzentrierte – Naoko Tanaka mag als Bühnenkünstlerin bekannter sein, denn als Bildende Künstlerin. Gleichwohl war sie immer beides und hat ihre Arbeiten auch kontinuierlich im In- und Ausland gezeigt. Und ich finde es gut und richtig, gerade diese Ausstellung losgelöst von den Performances zu zeigen. So wird der Blick frei für die Qualitäten sowohl der Zeichnungen als auch der Objekte, für die Details.
Sie können sich in aller Ruhe in die eigentümlichen Bildwelten der Zeichnerin Naoko Tanaka vertiefen, hier an der Wand, kosmische Strudel oder Mael-strom. Und immer ist sie selbst dabei, taucht als kleine Figur in den Zeichnungen, ein bißchen augenzwinkernd-naiv dargestellt: Die kleine Künstlerin auf ihrer Reise durch die Rätsel der Welt.
Oder Sie können, indem Sie die Diaschau betrachten, einen Einblick in die Werkstatt der Künstlerin nehmen. Da gibt es Entwürfe, wo sie immer wieder einmal Ideen notiert. Oder in einem einzelnen Wort viel über ihr Denken verrät. Irgendwo da findet sich zum Beispiel das Wort „Lichtauge“, eine punktgenaue Metapher für das Wechselspiel des Sehens und Scheinwerfens. Oder auch „Stuhlmensch“, wie eine Sehanleitung für die Objekte hier mitten im Raum. Dazu Studien, von Stühlen und menschlichen Figuren in Bewegung. Und links auf der ersten großen Zeichnung finden sich die Begriffe Kronos und Ma in allernächster Nachbarschaft. Kronos, der Titan und Vater Zeus’ Seite an Seite mit dem japanischen Wort für die Leere oder den Zwischenraum, der die Dinge erst hervortreten läßt. Sie sehen, der Perspektiven und philosophischen Anregungen ist kein Ende. Das Beste aber ist, daß hier keine Konzeptkünstlerin ihre Ideen illustriert. Naoko Tanaka denkt schaffend. Ihr Verfahren ist, so sagt sie, vollkommen intuitiv.